Manfred Hemm im Gespräch mit Max W. Busch
Max W. Busch arbeitet als Publizist und Lektor. Er hat Bücher über die Oper Hamburg und die Deutsche Oper Berlin, über Jean-Pierre Ponnelle und Tatjana Gsovsky publiziert.
Max W. Busch: Herr Hemm, da Sie gerade Baron Ochs gesungen haben, meine erste Frage in diesem Zusammenhang: Sie haben belcanto studiert und haben jetzt Erfolg mit Baron Ochs. Wie passt das zusammen?
Manfred Hemm: Belcanto ist eine Gesangstechnik und keine Repertoirebezeichnung. Nur mit einer guten Technik darf man sich einer Partie in dieser Grössenordnung überhaupt nähern. Die Technik entscheidet und nicht die Grösse des Bauchumfangs oder die Frage, wer den ordinärsten Dialekt sprechen kann. Beim Studieren dieser Partie hat mir eine CD mit Alexander Kipnis sehr geholfen. Er singt diese Partie mit Eleganz und Schönheit, das ist, wie in jedem Repertoire, der einzige Weg.
MWB: Und wie verhält sich das mit den anderen deutschen Partien, Gurnemanz zum Beispiel?
MH: Ezio Pinza und Cesare Siepi haben Gurnemanz an der MET gesungen, das hatte ja wohl einen Grund. Und der Grund war sicher nicht, dass alle deutschen Bässe das Schiff versäumt hatten. Wenn man einem Sänger so lange zuhören muss wie dem Gurnemanz, ist es absolut notwendig, als Zuhörer sich wohlzufühlen, sich zu baden in einem Schönklang. Man hat doch nicht bezahlt, um sich anbrüllen zu lassen für ein paar Stunden. Ausserdem gibt es auch in diesem Zusammenhang eine interessante Aufnahme, und zwar der auf italienisch gesungene Parsifal u.a. mit Maria Callas als Kundry und Boris Christoff als Gurnemanz. Christoff hat so viel Autorität in der Stimme, das liegt an seiner Technik und nicht etwa an einem Regisseur.
MWB: Sollte Regisseur etwa ein Stichwort für meine nächste Frage sein?
MH: Nein, ganz und gar nicht. Dazu habe ich nicht viel zu sagen. Ich habe in meinem Leben mit vielen Regisseuren zusammen gearbeitet, mal waren sie gut, mal nicht. Und das wird wohl auch in Zukunft so weitergehen.
MWB: Und zum modernen Regietheater wollen Sie sich nicht äussern?
MH: Ich war, wenn ich mich richtig erinnere, nie in eine Skandalinszenierung involviert. Modern waren manche Inszenierungen zwar, z.B. durch die Veränderung der Periode, in der das Stück spielt, oder durch die Veränderung der Geographie, ein Wohnzimmer wird zu einem Spitalszimmer usw. Das alles wurde ja schon zur Regel. Aber, wie ich schon sagte, manchmal hats gepasst und war gut, manchmal nicht.
MWB: Haben Sie darüber nachgedacht, selber Regie zu führen?
MH: Im Moment habe ich noch zu grossen Respekt davor. Wenn ich an eine gute Produktion denke, nehmen wir die Zusammenarbeit mit Dieter Dorn in München, dann muss ich natürlich zugeben, dass mir das selber nicht eingefallen wäre. Und dann seine Personenführung und PersonenVERführung! Das habe ich nicht drauf, da werde ich ganz bescheiden. Auf einem etwas anderen Niveau hätte ich schon ein paar Ideen, z.B. Elektra, die so aussieht wie der Film The Blair Witch Project, die Sänger beleuchten sich selber mit einer Taschenlampe, das spart Geld an Dekoration und Kostümen und erzeugt garantiert eine gespenstische Atmosphäre!
MWB: Also doch eine Kritik am Regietheater!
MH: Nein, nicht unbedingt. Ich möchte mich in der Oper ja auch nicht langweilen. Aber ich bin, glaube ich, aus einer Generation, die noch das Vergnügen hatte, grosse Opernabende zu erleben in alten Inszenierungen. Ich erinnere mich an Elektra an der Wiener Staatsoper, eine sehr alte Inszenierung von Wieland Wagner. Passiert ist gar nicht viel, aber die Besetzung war Birgit Nilsson, Christa Ludwig, Walter Berry, dirigiert hat Horst Stein. Das war in keiner Weise langweilig, glauben Sie mir. Wieland Wagners Intention kam durchaus zum Tragen, aber zum Leben erfüllt wurde es von Sängern, die genau wissen was sie tun, musikalisch wie auch darstellerisch. Ein Sänger, der nicht auf diesem Niveau ist, schaut auch in einer modernen Inszenierung ziemlich blass aus.
MWB: Wieland Wagner ist ja eigentlich schon als modern zu bezeichnen, denn er war ja ein Erneuerer in seiner Zeit.
MH: Das ist richtig, dieser Minimalismus und die Lichteffekte. Für mich als Darsteller ist das gerade die grösste Herausforderung: auf einer leeren Bühne stehen und die Bühne nicht leer erscheinen zu lassen.
MWB: Aber zurück zum Thema Stimme, Stimmtechnik und Gesangsstil. Da Sie deutsche Partien mit italienisch geschulter Technik angehen: In welchen Bereichen Komponisten bzw. Partien liegt denn Ihr Repertoire?
MH: Mein Repertoire liegt dort, wo die Vorzüge meiner Stimme zum Tragen kommen. So einfach sehe ich das. Es wird in naher Zukunft meine Website erscheinen, da kann man mein Repertoire nachlesen. Darunter werden dann auch viele Anregungen sein, das heisst, einige Partien die ich noch nicht gesungen habe. Für mich wäre es logisch, nach einem schönen Gurnemanz einen Fürst Gremin in Eugen Onegin angeboten zu bekommen. So ist aber nicht die Wirklichkeit des heutigen Opernbetriebes. Ausserdem haben wir heute ein minimales Opernrepertoire auf den Spielplänen, so etwa zwischen Zauberflöte und Carmen. Das verleitet Sänger dazu, ihre Stimme in dieses Mini-Repertoire zu zwingen, alle Tenöre singen dann Turandot, obwohl einige von ihnen doch besser Figlia del Regimento singen sollten. Ich glaube, jetzt habe ich den Faden verloren
MWB: Wir waren bei Ihrem Repertoire
MH: Ach, ja. Ich wollte damit eigentlich nur sagen, dass Repertoirelisten eines Sängers mich oft langweilen. Entweder ist es eine deutsche Wagner- und Strauss-Liste, oder eine italienische mit Rossini und Verdi. Daraus kann ich noch lange nicht erkennen, um was für einen Künstler es sich handelt. Und das russische Repertoire scheint überhaupt nicht mehr zu existieren, nur noch als Gastspiel einer russischen Opernkompanie, und denken Sie bitte an die vielen Möglichkeiten im französischen Repertoire!
MWB: Versuchen wir es noch mal von der anderen Seite: Gibt es auch Partien, die Sie nicht oder noch nicht singen würden aus welchen Gründen auch immer?
MH: Jedes Mal nach einem erfolgreichen Gurnemanz wurde ich gefragt, ob ich auch Hagen singe. Jedes Mal habe ich natürlich verneint. Was oft vergessen wird ist, dass ein Repertoire sich nicht nach Komponisten allein richtet. Der frühe Verdi hat jedenfalls für den Bass andere Ansprüche als der späte Verdi. Es wäre wichtig, dass diese Einteilung nach Fach sich ändert in eine Einteilung nach stimmlichen Persönlichkeiten.
MWB: Letzte Frage: Haben Sie einen Lieblingskomponisten?
Wenn ich an einer Partie arbeite, scheint mir gerade dieses Werk das schönste zu sein. Im Moment heissen die Lieblingskomponisten Brahms, da ich an Liedern arbeite, und Shostakovich. Hätten Sie mich vor zwei Monaten gefragt, hätte ich Wagner gesagt.
Aber über allem steht Bach. Da bin ich im Herzen der Musik